Energiedrehscheibe Wilhelmshaven lockt Industrie
Wilhelmshaven (energate) - Wilhelmshaven will mehr werden als nur ein Umschlagplatz für LNG, Ammoniak, Wasserstoff und CO2. "Außer ziemlich viel Arbeit hat sich bei uns wenig getan, mit Blick auf Arbeitsplätze und Gewerbesteuer", kritisierte Oberbürgermeister Carsten Feist bei einem Pressetermin, organisiert von der Initiative Zukunft Gas. Er selbst wurde am 27. Februar von der Ankündigung des Bundeskanzlers überrascht, dass Wilhelmshaven Anlegeplatz für eines der staatlich angemieteten LNG-Spezialschiffe (FSRU) wird, um Deutschland energiesicher durch den Winter zu bringen. Bereits zehn Monate später ging das neue Terminal in der niedersächsischen Hafenstadt in Betrieb. "Wir haben geliefert", so Feist, der mittelfristig auf eine Verdoppelung der heutigen Gewerbesteuer von derzeit 30 Mio. Euro hofft.
Einmal pro Woche landet inzwischen ein LNG-Tanker an, mit an Bord eine kostbare Ladung im zweistelligen Millionenbereich. Auf der FSRU arbeiten indes nur 35 Mitarbeitende aus verschiedenen Ländern im Schichtbetrieb 24/7, um die Tanker innerhalb von 20 Stunden zu entladen und anschließend die regasifizierten Mengen ins Erdgasnetz einzuspeisen.
Neben LNG, das der Oberbürgermeister "nur so lange wie nötig" akzeptieren will, gibt es große Pläne, Wilhelmshaven als Energiedrehscheibe und Industriestandort aufzuwerten. Davon verspricht sich Feist 1.500 bis 2.000 neue Arbeitsplätze. Insgesamt 30 Projekte, davon acht im konkreten Planungsstadium, zählt die Wirtschaftsförderung Wilhelmshaven. 40 bis 60 Prozent des deutschen Wasserstoffbedarfs könnte die Region nach ihren Berechnungen im Jahr 2031 abdecken.
Ammoniakterminal und CO2-Transportpipeline in Planung
So plant der Staatskonzern Uniper etwa den Aufbau eines Importterminals für Ammoniak und eine 1-GW-Elektrolyse. Wintershall will ab 2028 aus norwegischem Erdgas 5,6 TWh blauen Wasserstoff erzeugen und umgekehrt Mio. Tonnen CO2 erst per Schiff, später mit einer neuen CO2-Pipeline abtransportieren.
Die Region hofft allerdings auf mehr. "Wir haben nichts davon, den Wasserstoff nur durch die Pipeline zu schicken", erläuterte Uwe Oppitz von der Wirtschaftsförderung Wilhelmshaven [Energy Hub – Port of Wilhelmshaven] beim Vor-Ort-Termin. Gegenüber Bayern und Baden-Württemberg, die Industrieunternehmen früher mit günstigem Atomstrom anlockten, will die eher strukturschwache Region aufholen. Punkten will der Standort mit günstigem Offshore-Strom, Wasserstoff, guter Infrastruktur und CCS, also der Möglichkeit, unvermeidbare Emissionen abzutransportieren und in Dänemark oder Norwegen einzuspeichern. Die niedersächsische Papierfabrik Varel zählt als Vorzeigeprojekt, die mithilfe von Wilhelmshaven schneller dekarbonisieren will. Weitere sollen folgen, auch wenn sich Oppitz durchaus bewusst ist, dass Covestro seine Chemieproduktion in Leverkusen "nicht mit dem Schraubenschlüssel abbauen und hier wieder aufbauen wird".
Uniper: Industrie halten
Gundolf Schweppe, als CCO Sales für den Industriekundenvertrieb bei Uniper verantwortlich, sieht hier durchaus Chancen - auch für die eigenen, gut angeschlossenen Kohlekraftwerksstandorte. Über grünes Ammoniak redet er unter anderem mit Covestro, mit BASF oder den Stickstoffwerken Piesteritz.
"Alle bekommen inzwischen Druck von ihren Aufsichtsräten", sagte er in Wilhelmshaven. Mit dem neuen Terminal könnte Uniper den gesamten Ammoniakbedarf Deutschlands in Höhe von 3 Mio. t grün stellen und damit 25 TWh Erdgas ersetzen. Anders als bei Wasserstoff - "ohne großen Umbauaufwand, mit den gleichen LKWs und Güterwaggons". Der Bedarf der Industrie ist in seinen Augen indes so groß, dass nicht nur alle in Deutschland geplanten schwimmenden LNG-Terminals ihre Berechtigung haben, sondern auch das ebenfalls in Wilhelmshaven geplante Terminal für synthetisches Methan der Tree Energy Solutions. "Die hohe Preisvolatilität kommt eben daher, dass nicht genug Kapazität da ist", so der Uniper-Vorstand. Deutschland dürfe sich nicht auf dem milden Winter 2022/2023 und den aktuell vollen Speichern ausruhen. Die große Kunst sei es nun, die Industrie bis zum Jahr 2027, "wenn hier in Wilhelmshaven alles so richtig losgeht", zu halten. In Dormagen steht das Werk von Covestro derzeit still und auch BASF hat bei einem Standort energiepreisbedingt die Notbremse gezogen.
Quelle: https://www.energate.de